„Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist.“
Das Bibelwort, aus dem Lukasevangelium (6,36) wird uns durch das Jahr 2021 begleiten. Der Bibelvers wurde bereits vor ca. drei Jahren als Jahreslosung für dieses Jahr ausgewählt und bestimmt. Näher betrachtet passt es genau in unsere Zeit, in eine Zeit die vom Corona-Virus geprägt ist, dass bis zum Ende des Jahres sicher auch noch unseren Tagesablauf bestimmen wird. Aber es ist nicht nur das Virus, dass uns beschäftigen sollte. Betrachtet man das Tagesgeschehen und die dazugehörigen Berichte, Meldungen und Kommentare sieht man, wie sich Missgunst und Ichbezogenheit schnell ausbreiten und dadurch unsere Gesellschaft sozial immer stärker auseinander driftet.
Zahlen belegen, dass die etablierten Kirchen aus den verschiedensten Gründen an Stellenwert und auch an Mitgliedern verlieren, viele meinen man könne auch ohne Zugehörigkeit zu einer Kirche gut leben und auch gut zurecht kommen. Zumindest in unserem Teil der Welt lässt es sich gut leben, ohne tägliche Sorgen um Essen und Wasser, Sorgen um die Grundbedürfnisse - wäre da nicht dieses Virus! Wenn es mal nicht so gut läuft, rufen wir sofort nach dem Staat, er soll uns schützen, uns unterstützen, in die Bresche springen. Andererseits soll er sich raushalten, wenn es für uns gut läuft. Der Staat soll helfen, aber bitte nicht auf unsere auf meine Kosten.
„Seit barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist!“ Ist Gott barmherzig, wenn er sich ein tödliches Virus auf der Erde ausbreiten lässt? Wenn er es zulässt, dass Gesellschaften immer weiter auseinander driften? Wenn Not, Elend und Vertreibung an der Tagesordnung sind und wir dem scheinbar gleichgültig zusehen? Wenn wir uns in der Bibel etwas auskennen, denken wir vielleicht sofort an die 10 Plagen, die Gott auf die Erde geschickt hat. Die das Alte Ägypten heimsuchten, wie es im Zweiten Buch Mose des Alten Testaments geschrieben steht: Blut, Frösche, Stechmücken, Stechfliegen, Viehpest, Schwarze Blattern, Hagel, Heuschrecken, Finsternis und Tod aller Erstgeborenen. In unserer aufgeklärten Zeit müssen wir einen anderen Ansatz zur Erklärung, unsere eigene Auslegung finden. Deshalb hier die Frage, was bedeutet eigentlich Barmherzigkeit?
In der Definition heißt es: Barmherzigkeit ist eine Eigenschaft des menschlichen Charakters. Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an. Barmherzigkeit ist tätige Nächstenliebe. Der Nächste ist jeweils der, den der Mensch durch barmherziges Handeln zu seinem Nächsten gemacht hat.
Davon abzugrenzen ist Mitleid. Mitleid ist keine Charaktereigenschaft, sondern kann dem menschlichen Gefühlsleben zugeordnet werden. Barmherzigkeit bezeichnet somit eine existenzielle Betroffenheit im Innersten und ein Tun, das mehr ist als bloßes Gefühl des Mitleidens.
Wie heißt es in der Redensart so schön, in der Not zeigt sich der wahre Charakter!
Gerade in der heutigen Zeit kommen wir ohne Barmherzigkeit nicht aus. Wer an Gott glaubt, sollte bereits jetzt versuchen nach Gottes himmlischen Maßstäben zu leben. Konkret heißt das für uns, wir, jeder einzelne selber muss dafür sorgen, dass es im täglichen Leben, in unserer Gesellschaft möglichst barmherzig zugeht. Das geht nicht, wenn wir unser eigenes „Ich“ stets in den Vordergrund stellen und nur danach streben, dass es uns selbst gut geht! Barmherzigkeit als Haltung überwindet den eigenen Egoismus und kann daher als innerer Kompass dienen. Insofern ist die Jahreslosung gerade zu Zeiten von Corona und Missgunst eine Aufforderung zu einem mündigen, sich der Verantwortung stellenden Glauben, vielleicht auch eine Bewährung unseres Glaubens, oder auch unsere eigene Bewährung im Glauben. Mit Barmherzigkeit erkennen wir Hilfsbedürftige, gehen auf sie zu, holen den Nachbarn aus der Einsamkeit, haben ein nettes aufmunterndes Wort, finden auch das richtige Vorgehen, wenn es um die Reihenfolge und die Umsetzung bei der Impfung gegen das Corona-Virus geht! Mit barmherziger Grundhaltung würdigt man in den neuen Medien andere nicht herab, sondern setzt gezielt Gegenakzente und bewahrt damit im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Anerkennung vor einer gnadenlosen Selbstdarstellung.
Eine Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken aus dem Jahre 1995 trifft die heutige Aktualität sehr gut: „Trotz der festen Verankerung des Sozialstaates im politischen System moderner Staaten kommt die Gesellschaft auch heute nicht ohne Barmherzigkeit aus. Ohne Barmherzigkeit geht die Motivgrundlage für die Sozialgesetzgebung verloren. Ohne sie werden neue Notlagen überhaupt nicht aufgedeckt. Auch wenn das „soziale Netz“ die größte Not auffängt, gibt es viele, die durch dessen Maschen fallen. Nur die offiziell erfassten Fälle sind in die staatliche und kommunale Sozialhilfe eingebunden. Daher muss Barmherzigkeit eine neue Dimension in der Wahrnehmung erfahren. Barmherzigkeit ist der Quellgrund der sozialen Gerechtigkeit.“
Die Jahreslosung 2021 „Seit barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist!“ ruft uns alle zum verantwortungsvollen Handeln auf. Auch wenn die Impfung 2021 im Kampf gegen COVID 19 Linderung verspricht, ist eines gewiss - Barmherzigkeit kann man nicht allein durch impfen erreichen!