Gutachten zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche und mögliche Folgen daraus (Gedanken)

Bei uns nicht
Bildrechte Hohmeier

Die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und deren Auswirkungen beschäftigen sicher nicht nur mich in unserer Kirchengemeinde. Insbesondere auch deshalb, weil sich die Frage stellt, inwieweit die Vorfälle, aber auch der Umgang der katholischen Kirche mit den Ergebnissen, Auswirkungen auf unsere evangelische Kirche haben werden. Grundsätzlich könnte man natürlich der Ansicht sein, all das wäre nicht unsere Sache, sondern alleine die der katholischen Kirche. 

In meiner Bewertung betrifft es aber aktuell alle christlichen Kirchen. Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch eine Institution, welche für die Verkündigung der christliche Botschaft steht und insbesondere den schutzbedürftigen und Hilfesuchenden Geborgenheit, Halt und Sicherheit geben soll, hat sowohl Kirchenmitglieder wie Außenstehende zurecht betroffen gemacht. Für viele steht die Glaubwürdigkeit der Kirche insgesamt in Frage. Verachtung und Ekel sind es, was viele in diesen Tagen für die katholische Kirche als Institution empfinden. Noch immer müssen die Betroffenen ertragen, dass sich die katholische Kirche - bis auf wenige Ausnahmen - ihrer Verantwortung zu entziehen versucht, Täter scheinbar schützt und auf Betroffene des Missbrauchs mit ihren Erfahrungen und ihrem Leid nur dann zugeht, wenn der Missbrauch offenkundig geworden ist. Vielen, auch die selbst nicht von sexuellem Missbrauch innerhalb der Kirche betroffen sind, scheint es eine logische Konsequenz zu sein, aus der Institution Kirche auszutreten. Für sie steht fest, dass sie auch Christen sein können, ohne in der Kirche zu sein. Das ist ein Weg, aus meiner Sicht jedoch ein falscher, will man nachhaltig etwas ändern.  Ich bin mir auch nicht sicher, ob sich überhaupt etwas ändert, wenn alle, die nachhaltige Aufarbeitung oder Reformen fordern, austreten. Die Taten werden auch nicht dadurch relativiert,  dass Missbrauch auch in Vereinen, anderen Institutionen oder gar im häuslichen Bereich stattfinden! Veränderung braucht Mut und Veränderungen können auch von unten nach Oben erfolgen. In diesem Fall ist das vielleicht auch der einzig mögliche Weg.

Die Zahlen der Kirchenaustritte aus der katholischen Kirche, aber auch aus der evangelischen Kirche geben ein eindeutiges Signal. Die Austrittszahlen haben sich seit dem Gutachten in beiden Kirchen nahezu verdoppelt! Es ist zu befürchten, dass die Austrittswelle erst beginnt. Viele scheuen diesen Weg noch, sich konsequent von der katholischen Kirche, bzw. Kirche generell abzuwenden.

Deshalb ist es wichtig, dass wir die Taten in der katholischen Kirche offen aufnehmen, offen für eine Aufarbeitung eintreten und darüber hinaus bereit sind, in unserem eigenen Bereich kritisch zu schauen. Wir müssen uns der Verantwortung stellen, sind aber auch dazu aufgerufen, untereinander offen über die Missbrauschsfälle und die Konsequenzen zu reden. (Hier eine Stellungnahme von Landesbischof Bedford Strohm  https://www.bayern-evangelisch.de/pressemitteilung-24-01-22.php ) Dabei müssen wir auch bei uns genau hinschauen, Grenzen immer wieder aufzeigen. Wir müssen uns auch eindeutig positionieren, in unserer eigenen Gemeinde Vertrauen schaffen, Vertrauen darauf, dass die christliche Botschaft in unserem Bereich uneingeschränkt Anwendung findet und nicht aufgrund des Fehlverhaltens in Frage gestellt wird. 

Die EJ Bayern hat bereits 2003 die Aktion „Bei uns nicht!“ ins Leben gerufen und 2017 ein Schutzkonzept vorgelegt. (https://www.ejb.de/was-wir-machen/praevention-von-sexualisierter-gewalt/) Hier sind auch auch Ansprechstellenhttps://aktiv-gegen-missbrauch.bayern-evangelisch.de/ansprechstelle-fur-opfer.php) für Opfer sexueller Gewalt zu finden.

Der Glaube an Gott gibt gerade in Krisenzeiten, wie jetzt mit Pandemie und Kriegsangst im Osten, vielen Menschen Halt und Hoffnung. Als Begegnungsraum stellt die Kirche für viele einen zentralen und wichtigen Punkt in ihrem Leben dar, auch wenn die christliche Botschaft in ihrer Relevanz für das tägliche Leben abzunehmen scheint. Kirche übernimmt u.a. mit Obdachloseneinrichtungen, Tafeln zur Essensausgabe, Frauenhäusern, Mutter-Kind-Häusern und Jugendhilfen einen Großteil von Verantwortung, insbesondere auch dort, wo die Gesellschaft insgesamt leider immer mehr versagt. Diese Tätigkeiten schützen natürlich nicht vor Kritik und dürfen den Reformbedarf, auch in unserer ev. Kirche, nicht überdecken. 

Die Auswirkungen  nach Vorstellung des Gutachtens gehen jedoch noch erheblich weiter. Kurz nach dessen bekannt werden haben sich zahlreiche Funktionsträger der katholischen Kirche offen geoutet und damit deutlich gemacht, wie weit Kirchen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft hinterher hinken.  Wie schwierig und problembehaftet Outing von Pfarrern auch in der evangelischen Kirche ist, haben wir in unserer eigenen Gemeinde erst vor Kurzem schmerzlich erfahren - auch bei uns noch kein leichter, kein selbstverständlicher Weg. 

Es zeichnet sich darüber hinaus eine grundsätzliche Diskussion ab, die bereits lange vor sich hin schwelt und für die eine Lösung, weder vom Staat noch von den Kirchen selbst, offensiv angegangen wurde. Nämlich die historisch begründete Frage, wie soll das Verhältnis von Kirche und Staat neu gestaltet werden. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wurden Ansätze bereits aufgenommen. Dort heißt es: "Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen". Thematisch geht es darüber hinaus um das kirchliche Arbeitsrecht, das nach einer Prüfung dem staatlichen angeglichen werden könnte und die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt, die die Regierung begleiten und fördern möchte. Für Kirchen insgesamt wird die Zukunft nicht einfacher und hier sind noch nicht alle aktuellen Themen aufgezeigt, die unsere Kirchen herausfordern, in denen sich sowohl die katholische Kirche, als auch die evangelische Kirche, eindeutig und zukunftsweisend positionieren müssen. 

Für eine dauerhaft akzeptierte katholische Kirche stellt sich zusätzlich die Frage, inwieweit die Kirchenleitung in Rom einen deutschen Weg ebnen bzw. diesem ggf. folgen kann. Sind wir in der evangelischen Kirche in der Lage, bereit jetzt auch Änderungen einzuleiten und uns über die Bemühungen zum PUK-Prozess (Profil und Konzentration) hinaus zu reformieren und uns an gesellschaftliche Entwicklungen angenähert anzupassen. 

Schaffen es die Kirchen in der entstandenen Situation nicht selbst, aus sich heraus maßvolle aber akzeptable Schritte einzuleiten, müssen wir uns insgesamt um die Kirchen in Deutschland Sorgen machen. Nur wer bereit ist, Dinge aktiv mit zu gestalten, kann Einfluss nehmen, im Großen wie im Kleinen.

Deshalb müssen wir offen sein für Reformen, offen für neues Denken, um der christlichen Botschaft wieder den Raum, den Stellenwert zu geben, den sie auch heute noch verdient. Viel Zeit bleibt dazu nicht. Helfen Sie alle mit bei einer offenen Diskussion, ohne Tabus, für eine lebendige Kirche mit Zukunft!

Manfred Hohmeier